Süddeutsche Zeitung, 8. 12. 2004

Ausstellung von Augusta Laar im Kraillinger Rathaus

Chronistin des Verlorenen und Vergessenen
Schriften - Zeichen - Chiffren: Fotografien und Installationen von scheinbar Unscheinbarem

Es wurde nur eine kleine, intime Vernissage. Der Kulturförderverein Krailling hatte ins Rathaus gebeten zur Eröffnung einer Ausstellung zum Thema "Schriften - Zeichen – Chiffren" von Augusta Laar, Installationskünstlerin, Musikerin, Lyrikerin und Begründerin der längst im guten Sinne globalen Postkarten-Aktion, "Madonna sagt...". Laar ist in Krailling aufgewachsen, lebt dort bis heute mit ihrem Mann, dem experimentellen Musiker und Gründer des "Temporären Klangmuseums" Kalle Laar, und hat vielen Kraillinger Kindern über die Jahre hinweg bewiesen, dass man an Klavierstunden durchaus Spaß haben kann.

Augusta Laars Fotos und Installationen bedürfen der Stille, denn sie richten sich vor allem an das Herz, sind eine Sache des Mitfühlens, der stillen Traurigkeit darüber, dass etwas ist, wie es ist, des Bescheidenwerdens und dankbaren Annehmens, dass das Kleine, das Unscheinbare, das Verlorengegangene am Rande des großen Mahlstroms Leben eine Chronistin gefunden hat. Eine Chronistin, deren künstlerische Arbeit getragen ist von liebevollem Respekt. So sprach es auch die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Christiane Clemm in ihrer Einführung aus. Eine "Zärtlichkeit des Blicks" hat sie bei Augusta Laar gefunden, und "die Fähigkeit der Sammlerin, die Objekte durch ihre Wahrnehmung zu verwandeln". Wer, außer Laar, wird schon genau hinsehen und gar auf Film bannen, wenn auf einem Stück längst vergilbtem Gras, benachbart zu einem Stück Pflasterstein, zwei verrostete Eisenbänder ein Kreuz bilden, ein stilles Memento mori am Wegrand? Wer entdeckt eine behütende Christusfigur im Sammelsurium eines Schaufensters in Südamerika? Wer findet an einem Infostand in Japan wilde ostwestliche Mischungen? Wer nimmt eine Babypuppe wahr inmitten verwaschener Spuren im Sand?

Puppen gehören zu den wichtigsten Themen von Augusta Laar. Wie viele Barbies hat sie entdeckt, ihrer modischen Klamotten entkleidet die starren nackten Beine und der Leib gleichgültigen Blicken preisgegeben. Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Fotos aus der Barbie-Serie und zudem Porträts zerliebter Puppen, die dann doch achtlos, die Glieder verrenkt in einer Ecke liegengeblieben sind. Augusta Laar hat Erbarmen mit ihren, aber sie klagt auch an: In den Vitrinen im Foyer stecken zwei Puppen in einem Kasten. Sie sind kess arrangiert wie in einer Ballettfigur, der Kopf nach unten, das Flittergewand verschoben, so dass klar zu sehen ist: Jeder fehlt ein Bein. Dahinter goldene Flügel wie von einem kitschigen Engelbild. Welche Mahnung steckt darin: die Stilisierung des Girlie in unserer Zeit als eine Art Ikone und die erschreckend große Zahl von Kindern, denen eine Mine den jungen Körper zerstört hat.

INGRID ZIMMERMANN

Chronistin des vergessenen
Die Kraillinger Künstlerin Augusta Laar widmet sich in ihrer Ausstellung im Kraillinger Rathaus verlorenen und vergessenen Dingen.