Süddeutsche Zeitung, 1.Juli 2004

Sprachmelodien zerhackt in Begriffe und Bilder

Die experimentelle Lyrikerin, Augusta Laar, liest am Freitag im Rahmen des Kult‑Art‑Festivals Gedichte

Gedichte, so ein therapeutischer Rat, helfen gegen Depressionen anzugehen, denn sie erreichen unmittelbar die linke, die musische, die intuitive Hirnhälfte. Die rechte, in der Kontrolle und Angst zu Hause sind, wird für eine Weile ins zweite Glied gestellt. Das tut der Seele gut. Aber welche Gedichte? Sind Goethe, Eichendorff, Rilke, Hesse gefragt? Das freilich immer, Sprachmelodie und Botschaften tragen fort in andere Dimensionen.

Augusta LaarDas Gedicht des 21. Jahrhunderts, kristalline Ausschmelzungen unserer aktuellen Zeit, sind, von anderer Art. Dass sie ihre Liebhaber finden, zeigt Anton G. Leitners mutige Zeitschrift "Das Gedicht". In der jüngsten Ausga­be hat er einen neuen Lyrikband besprochen. "weniger stimmen" lautet der Titel und enthalten sind Gedichte von Augusta Laar aus Krailling, Musikerin, experimentelle Lyrikerin und Schöpferin des spirituellen Kunstprojektes "Madonna sagt. ..", mit dem sie zu­letzt auf dem Katholischen Kirchentag in Ulm viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Am Freitag den 2. Juli wird sie im Rahmen des Kraillinger Kult‑Art‑Festivals lesen. Der Tod war der ständige Begleiter der Dichter der Romantik. Der Tod, und nicht nur er, sondern Grausamkeit und Verzweiflung, damals in fließenden Sprachmelodien und heute, zerhackt in Begriffe und Bilder, in allen Medien präsent, haben auch in Augusta Laars Gedichten ihren Platz.

Auch sie zerhackt und hämmert, setzt nur Kerne für Assoziationen, lässt aber alten, vertrauten Metaphern Raum und ist doch ganz da im digitalen Zeitalter und seiner Codesprache und seinen Kürzeln. Eine Nachfahrin des in den Umbruch reichen Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts geborenen Dada, allerdings nie eine Sprachspielerin um des reinen Spiels willen, und eine späte Weggenossin von H.C. Artmann, dem sie eins ihrer Gedichte gewidmet hat. ,She'll try to kill herself" kann eines der Gedichte heißen: nackt& / heilig / concordia / nachtexpress noch / 1 x herum / luciano die / süße seite. Simplex / 1 tag im leben / mythologisch / papierschiffe ray / & christian / speeial thanks to estelle. Oder sogar: "Bloß glücklich": die anderen die / mimosen greifen / die namenlosen / die letzten rosen / herzerhoben / würdest du / sterben&sterben / würdest du?
Dem schmalen Paperback von rund 150 Seiten ist eine CD beigegeben, entstanden in Zusammen­arbeit mit Ehemann Kalle Laar, Experimentalmusiker und Leiter des "Temporären Klangmuseums" der Städtischen Galerie im Lenbachhaus.

Augusta Laar liest selbst, begleitet und unterbrochen von Halleffekten, Rückkopplungen, Ätherrauschen und Fading. Einmal ist es nicht mehr als die immer neu wiederholte Frage: "Warum bin ich traurig?". Vielleicht eine wichtige Frage unserer Zeit.

INGRID ZIMMERMANN