Süddeutsche Zeitung, 29. September 2004

 

Das Künstlerpaar Laar aus Krailling

Der Klang der Welt der dunklen Worte
Wie Musik, Sprache und Fotos eine Einheit finden / „Kunst oder Unfall“ in Schloss Fußberg

Nein, nicht nur um Musik geht es hier, zumindest nicht in der gewohnten Art. Bei mir ist der Klang der Eckpfeiler, sagt Kalle Laar und deutet die Gefilde jenseits geläufiger Genres an, in denen er sich auch mit seiner Lebensgefährtin Augusta Laar bewegt. Sie kümmert sich ebenso wenig um tradierte Kunstformen, auch wenn ihre Ausbildung in München ganz klassisch begann: musisches Gymnasium, mit 15 Jahren als Jungstudentin am Richard Strauss Konservatorium. Klavier sollte es werden, doch dem angespannten Wettbewerb im Konzertbetrieb hat sie sich auch nach dem Studium nicht unterziehen wollen. Und wenn sie heute Klavier unterrichtet, dann ohne Leistungsdruck und mit Freude an der Musik, betont die Kraillingerin mit Schweizer Pass.

Dafür fand Augusta in Kalles Klangwelt eine Menge Erlebnismaterial. Über die E-Gitarre hinaus ging es ihm stets um mehr als Musik: Ich bin immer auf der Suche nach interessanten Klängen. Seit den achtziger Jahren bestimmte daher die Klangperformance seine künstlerisch-akustischen Entdeckungsreisen, die Kalle Laar, estnisch-lettischer Herkunft, zunehmend auch de facto antrat. Wie klingen Städte in Asien, Amerika oder in anderen Ländern Europas? Wie verändern sich Klänge in der Bewegung, in Relation zur Zeit? Klang gehört nach wie vor zu den meist unterschätzten Phänomenen, sagt Kalle Laar und verweist auf die heutige Ausrichtung auf optische Reize.

Wenn es um solche Phänomene geht, profitiert Wissenschaftshistoriker Laar von seinem Studium. Aber auch selbst war Kalle Laar bereits akademisch tätig, während des Lehrauftrags an der Münchner FH zum Thema Klang und Architektur. Ansonsten bleibe der Bereich gänzlich unbeachtet, zumindest in Deutschland, sagt er. Anders etwa in Österreich, wo er nächstes Jahr Klangschulungen mit Schülern durchführen wird.
Hierzulande müsse er mit freien Projekten vorankommen. Was ich mit am liebsten tue, sind Klanginstallationen. Gemeint ist etwa eine Geschichten erzählende Landschaft in Brandenburg, gekoppelt an Naturklänge und immer wieder mit einem lustvollen Ja! aus allen Lautsprechern.

In diesen Tagen verstummt jedoch die Landschaft wieder, nur ein Multiple mit vier Mini-Cds kann noch davon erlebt werden. Was dauerhaft bleibt indes, ist das Temporäre Klangmuseum München, das in der Lenbachgalerie 1996 die ersten ,,Nächte der verlorenen Musik" anbot und neuerdings im Bayerischen Nationalmuseum weiterhin für ungewöhnliche Klangerlebnisse sorgt. Ich mache immer nur Angebote, umschreibt er die vierstündigen Abende, die von den bis zu 300 Besuchern durchaus auch als Party mit einer Bar gesehen werden können. Klang sei Kommunikation, meint Kalle.

Für Augusta führt heute der kommunikative Austausch über Worte. Der Tod ihrer zweijährigen Tochter veränderte 1992 ihr Bewusstsein: Auf einmal sind einige entscheidenden Barrieren von all dem gefallen, was ich mir bis dahin nicht zugetraut habe. Sie studierte Gedichte und versuchte ihren Vorbildern nacheifern, bis sie einen eigenen Stil fand worin Wörter klanglich zu einer Geschichte komponiert werden. Meistens sind es emotionale Prozesse, umschreibt sie die Inhalte ihrer Gedichte die es unter dem Titel weniger stimmen bereits in Buchform gibt Augusta ist eine Sammlerin oder auch Finderin. Wörter werden etwa im Dunkel einer Kinovorführung aufgeschnappt und notiert wobei ihre unkontrollierte Notation bildhafte grafische Formen annimmt die sich wiederum zu einer eigenen Kunstform entwickelten. Ihre Arbeitsumgebung hielt sie dann in Fotos fest worin sie plötzlich neue Ausdrucksformen entdeckte und bekam damit den ersten Wiener Werkstattpreis für Fotografie 2001. Allmählich fand Augusta Laar zu ihren Barbiekrippen, die in Schaukästen Beziehungsthemen aufgreifen. Doch immer tauchen auch Wörter auf die den Arbeiten eine Geschichte geben
Sprache ist für Augusta aber auch Musik und Klang: eine Brücke zur Kalles Arbeit.

Das gemeinsame Projekt „Kunst oder Unfall“ kann unter anderem derzeit noch im Cafe Fußberg in Gauting erlebt werden. Detaillierte Informationen erhält man über www.kunstoderunfall.de, aber auch am 23 Oktober um Mitternacht in der Hörfunkreihe "Nachtbilder" auf ORF1

REINHARD PALMER