rubikon, 19. Juli 2004

Interview mit Augusta Laar für die Literaturzeitschrift Rubikon / Zürich

von Daniel Gugger - Winterthur, 19. Juli 2004

Im Frühling ist ihr erster Gedichtband „Weniger Stimmen“ erschienen. Sie hatten aber bereits davor in zahlreichen Medien Veröffentlichungen und wurden für ihre Werke ausgezeichnet. Wie entstehen ihre Gedichte und Texte, was liefert Ihnen Inspiration?

der alltag, zufällig durchs fenster „gefundene“ wörter während einer s-bahnfahrt, werbung, überschriften, oder die zeitung, z.b. der zyklus blue poems (acht gedichte) entstand ausschließlich aus wörtern des fernsehprogramms der süddeutschen zeitung vom 13. Juli 1997 (dem todestag meines vaters), oder beim ‚kritzeln’ sowieso, mitschreiben von gesprächsfetzen oder fragmenten z.b. aus filmen im dunkeln mitgeschrieben, und alles unleserliche spontan zu neuen wörtern gefügt, aber auch träume, geträumte wörter, im halbschlaf automatisch auf zettel gekritzelt, vielleicht unkenntlich, in neuer gestalt sich zusammensetzend.
Das gedicht „7 Geschütze“ ist z.b. ein vollständig geträumtes gedicht.

Ihre Gedichte kommen oft mit wenigen Worten aus. Diese Reduktion auf das Wesentliche macht Ihre Werke sehr ausdrucksstark. Steckt der Gedanke ‚weniger ist mehr’ auch hinter dem Titel ihres Buches „Weniger Stimmen“?

ich bin von natur aus schnell und spontan, wenn ich zu lange nachdenke, dann wird es mir meistens zu literarisch. dazu gibt es eine aussage von dem dadaistischen poeten Takiguchi Shuzo: ‚poetry is not belief. it is not logic. it is action’. für mich ist literatur eher das, was sich von ihr entfernt. ich interessiere mich für das, was ich nicht kenne in mir und worüber ich nicht nachgedacht habe, denn das denken wiederholt ja das, was ich bereits kenne. dennoch gibt es noch einen anderen bezug: ich habe jahrelang karate und iaido praktiziert und mich viel mit japanischer kultur und dichtung beschäftigt. das hat gleichermaßen mein leben und meine lyrik geprägt.

Gemeinsam mit Ihrem Mann, dem Klangkünstler Kalle Laar, haben Sie das Projekt ‚Kunst oder Unfall’ ins Leben gerufen. Eine CD mit Stücken aus dieser Zusammenarbeit ist Ihrem Buch beigelegt. Welche Ideen und Ziele stehen hinter diesem Projekt und dem provokativen Titel?

der name ist gleich programm. es geht in unseren auftritten und konzerten um reine kommunikation, das was gerade jetzt als kommunikation ausgedrückt werden möchte. wir sind beide musiker und künstler und interessieren uns dafür, uns jedesmal in eine neue, gemeinsame form zu begeben die sich selbst vorgibt, ohne uns, sozusagen. daher ist es,
sind wir, nie sicher was es ist und was letzendlich dabei herauskommt, in jedem fall gibt es immer etwas ganz einmaliges zu hören und zu sehen.

In Live-Performances mit Kalle Laar kombinieren Sie gesprochene Poesie mit Klängen, Geräuschen und visuellen Effekten. Wie bringen Sie diese drei Dimensionen miteinander in Einklang?

indem alle klänge, auch die sprache, gleichrangig behandelt werden. das was anfällt wird getan. unsere dias und videos sind da genauso material, u.a. auch klangmaterial, wie die handschrift, die sprache die geräusche, auch der raum. wir gehen da von einem erweiterten skulpturbegriff aus, oder wie Oktavio Paz sagt: ‚gedichte sind unvollendete und nicht zu vollendende wortobjekte. es gibt keine definitive version, jedes gedicht ist entwurf eines anderen, das wir nie schreiben werden...’

Sie sind sehr kreativ und experimentierfreudig. Trifft das Ihrer Meinung nach auch auf die hiesige Kunst- und Kulturszene zu?

künstler sind zur zeit wieder gezwungen sich gegenmodelle zu den staatlichen förderungen auszudenken. gerade jetzt ist da eine interessante zeit für die kunst angebrochen, sich wieder selbst zu erfinden, jenseits von mainstream und marktstrategischen kriterien. über die aktuelle züricher oder schweizer kunst- und literaturszene weiß ich leider zu wenig, da ich immer im ausland gelebt habe. z.b. was die ‚züri brännt’ ära tatsächlich bewirkt hat. dennoch bin ich natürlich u.a. begeisterter fan von Jean Tinguely, Pippilotti Rist und Urs Lüthi, die ja alle drei recht experimentierfreudig waren und sind, ihre werke sind üppige freudige experimente. diese haltung finde ich wunderbar und sehr inspirierend. die szene in münchen ist ja angeblich langweilig. aber abseits von feuilletons und alten pfründen gibt es tollen underground, gerade jetzt ist viel in bewegung. literatur findet an unüblichen orten statt, es gibt waghalsige junge verleger, die gleichzeitig künstler sind, jede menge temporäre clubs, die sich auflösen, gründen, neu formieren, fantastische musiker und dj haut couture vom feinsten wie das temporäre klangmuseum münchen, jeden letzten donnerstag in den gewölbehallen des bayrischen nationalmuseums und den wunderbaren ‚zündfunk’ im radio, der sein 30jähriges jubiläum feiert und die beste unbekannte musik aller zeiten bringt, jeden tag um 19 uhr.

Der Wettstreit mit Worten erfreut sich bei jungen Menschen immer grösserer Beliebtheit. In ‚Rap Battles’ oder ‚Poertry Slams’ können sie ihre Individualität und Kreativität zum Ausdruck bringen. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

ich bin da zu schulgeschädigt, wenn ich leistung bringen soll, besser sein als ein anderer in einer bestimmten zeitspanne, dann versage ich komplett. wer das psychisch durchhält ist aber, meiner meinung nach, nicht unbedingt ein guter dichter. manchmal erinnert mich so ein poetry slam an eine schlammschlacht, das hat für mich weniger mit poesie zu tun, eher mit sport. aber den leuten gefällt es, so im sinne von ‚panem et circenses’. ich bin eher dafür, das benotungssystem in der schule sowie im echten leben abzuschaffen. die dichtung kann damit nichts zu tun haben, da ihr keinerlei wert innewohnt, das ist ja das wertvolle an ihr, dass sie nicht materiell funktioniert. was hier bewertet wird ist immer die person des slammers. Ist das dann mob, oder einfach pop?

Das Internet bietet ein globales Schaufenster und eine neue Plattform zur Kommunikation. Sie nutzen diese Möglichkeiten für Ihre Projekte. Welche Bedeutung hat das Medium Internet für Ihre Arbeit?

da ich eine der ersten war, die eine homepage betrieb, habe ich von anfang an versucht mich mit anderen künstlern im internet auszutauschen oder interaktive projekte zu machen. diese art zusammenarbeit ermöglicht mir kontakte mit künstlern aus aller welt, die ich sonst wohl nicht kennengelernt hätte. mein projekt ‚madonna sagt ...’ ist ja da ein ein gutes beispiel für diese zusammenarbeit. jeder kann mitmachen, weltweit und eine postkarte mit einem individuellen gedicht anfordern. die zurückgesandten bearbeitungen werden dann auf meiner site ausgestellt. die momentane internet unlust betrifft ja keine kunstprojekte. lustig finde ich gerade diesen absturz des internet hype und die ernüchterung, auch die spamwelle. ich hatte zeitweise so viele spams, dass ich ein spam projekt gemacht habe, das ist mir dann fast zu ekelhaft geworden und liegt noch hier in der schublade, mich gruselts wenn ich da mal reinschaue. es ist aber jede menge explosiver spannung darin, mal sehen was damit passiert.

Sie lassen sich nicht durch Sprachbarrieren eingrenzen. Sie schreiben auf deutsch und englisch, streuen aber oft auch Fragmente aus weiteren Sprachen ein. Möchten Sie damit Ihrer Internationalität Ausdruck verleihen?

das klingt so, ist aber nur zum teil wahr: ich bin zwar als schweizerin in deutschland aufgewachsen, mein mann ist estnisch / lettischer herkunft und ebenfalls in deutschland aufgewachsen. wir waren beide viel in asien und amerika unterwegs. daher steht uns zusammen schon ziemlich viel sprach - und dialektmaterial zur verfügung. aber es geht dabei weniger um das, was ich möchte, als um das, was die sprache möchte, sie geht so ihre eigenen wege und ich mache mit, wenn ich wach bin und wundere mich manchmal was dabei herauskommt. manchmal träume ich in sprachen, die ich nicht einordnen kann. meine freundin, die performance - künstlerin Anna Homler aus L.A. sagt dazu ‚imaginary language’

Ihr 1995 ins Leben gerufene Projekt ‚Madonna sagt…’ und die häufige Präsenz von Gott in Ihren Gedichten lassen erahnen, dass Sie ein gläubiger Mensch sind. Welche Rolle spielt für Sie der Glauben und wie beeinflusst er Ihre Arbeit?

zunächst ist "madonna sagt ..." kein reines glaubensprojekt, sondern ein projekt zur poetischen kommunikation. der glaubensaspekt kann dabei sehr wichtig sein, muss es aber nicht. es nehmen u.a. auch künstler teil, die mit diesem aspekt weniger anfangen können oder einen kritischen bezug beisteuern. für mich war es eher umgekehrt. ich bin durch meine arbeit gläubig geworden, eigentlich wider die vernunft. das ist so eine zarte empfindung, dieser glaube. ich tue da nichts dafür, ich versuche im besten fall dem was da ist, als ich, aus dem weg zu gehen. das ist wohl der moment im normalen kreativen arbeitsprozess, in dem etwas geschieht ohne dass ich mir das vorgenommen habe, es ergibt einen sinn oder haucht dem objekt, der skulptur leben ein. man könnte sagen ‚inspiration’ oder ‚gnade’. das projekt "madonna sagt..." ist ja auch ein geträumtes projekt. ich fand eine madonnenpostkarte in einer kneipe und träumte das projekt daraufhin. insofern ist der ganze kreative akt vielleicht ein glaubensakt, anders geht es ja gar nicht. ich kann ja mein träume nicht erfüllen als mensch, das muss eben anders passieren. ich denke auch nicht dass ich so wichtig bin und dies und jenes unbedingt machen muss. es ist eher so, ich mache was, eine initialzündung, und dann schaue ich zu was passiert, wie es sich entfaltet oder aus sich herausgeht – wenn das das göttliche ist, dann ist es glauben, das respektieren von allem was ich in mir vorfinde als inspiration ... 

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Gibt es Träume oder Ideen, die Sie unbedingt noch verwirklichen möchten?

bestimmt viele, aber ich kenne sie noch nicht. ich mache was, weil es sich anbietet, wie bei den fotos oder den barbieworks, und schaue zu was dabei herauskommt, vielleicht gar kein gedicht mehr und keine kunst? aber termine für ausstellungen gibt es schon mal bis 2006 ... gerade jetzt schwebt mir eine oper vor, gemeinsam mit meinem mann, zu der ich das libretto und auch etwas musik beisteuern möchte. an der oper gefällt mir das künstliche, sie ist vielleicht die extremste kunstform überhaupt. aber ich lasse mich da führen von der inspiration und der zeit. wenn ich darüber nachdenke, wird es mir bloß schwindelig.
die fotoarbeiten z.b. sind ursprünglich entstanden aus dem bedürfnis, meine poetische arbeitsweise zu dokumentieren. plötzlich gab es da einen punkt, der mich noch mehr interessierte als die arbeit selbst und der noch genauer untersucht sein wollte, also ging ich näher hin und entdeckte immer neue und neue welten ...  ich möchte da mit Jim Morrison schließen ... ‚wirkliche poesie sagt gar nichts, sie hilft nur den möglichkeiten auf die sprünge. öffnet alle türen. du kannst durch irgendeine, die dir entspricht gehen.’